Viele meiner Kollegen aus der Berater- und Kommunikationsbranche sprechen und schreiben gerade darüber, dass die Welt nach Corona eine andere sein wird. Sie meinen damit eine massive Rezession, gefolgt von einem völlig geänderten Markt für Dienstleistungen. Ich sehe die Lage auch realistisch und nicht ohne Sorge. Aber…
Der Mensch kann vergessen
Und das ist wohl auch gut so. Die Menschheit hat zwei Weltkriege, die Ölkrise, Tschernobyl und den 11. September überstanden. Jedes Mal sprachen Historiker von einem Einschnitt, was in manchen Bereichen auch stimmt. Doch unterm Strich pflegen Menschen und Gesellschaften eine Kultur der Verarbeitung von kollektiven Schocks, die Psychologen auch Verdrängung nennen. Es geht um die Fähigkeit, mit der nötigen Kraft und Zuversicht Schäden zu beseitigen und danach weiter machen zu können. Das wird umso mehr der Fall sein, wenn eine ganze Weltgemeinschaft buchstäblich von einer Krankheit genesen oder sich an sie gewöhnen wird.
Die Wirtschaft tut was sie kann
Wer heute behauptet, in der Weltwirtschaft werde kein Stein auf dem anderen bleiben, der unterschätzt die Optimierungskräfte des nutzenorientierten Denkens in einer liberalen Gesellschaft. Globalisierung ist keine Entscheidung von Politikern oder Konzernchefs. Sie hat es immer schon gegeben. Wenn nun über die heimische Produktion von Schutzmasken oder die Abwehr von ausländischen Firmenübernamen gesprochen wird, dann hat das noch lange nichts mit einer Kappung des weltweiten Handels generell zu tun.
Im Gegenteil. Die Chancen, die sich aus den aktuellen Verwerfungen und Rückständen ergeben, werden zu hektischen Aufholprozessen und Investitionen führen. Von dem Wunsch aller Wirtschaftsteilnehmer, durch Fleiß und Verstand bald wieder den alten Wohlstand zu erreichen, gar nicht zu reden. Die Wirtschaft funktioniert so wie Wirtschaft eben funktioniert – wirtschaftlich. Mit dem Wunsch nach Wohlstandsmehrung, relativen Wettbewerbsvorteilen und gegenseitigem Austausch.
Das Internet kann nicht alles
So paradox es klingt: Die allgegenwärtige und notgedungene Nutzung von digitalen Techniken wird unsere Art zu arbeiten und zu kommunizieren eben nicht grundlegend verändern. Natürlich skypen und zoomen jetzt alle. Dafür sorgen Ausgangssperren und das Ausweichen auf das Homeoffice. Es ist auch damit zu rechnen, dass die Bereitschaft von Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Familien und Freundeskreisen zunehmen wird, sich online auszutauschen.
Doch gerade die offenbaren Grenzen der Digitaltechniken, wie mangelhafte Emotionalität und Informationsüberlastung, werden zeigen, wie wertvoll und wichtig echter Austausch zwischen Menschen ist. Weniger überflüssige Meetings und bessere Teamwork-Tools auf leistungsfähigeren Rechnern sind dazu kein Widerspruch. Dass Menschen künftig vermutlich etwas weniger beruflich reisen, wird mehr eine Kosten- und Umweltschutzfrage sein, als eine Grundentscheidung für das Internet.
Bleibt deshalb alles einfach nur beim Alten?
Nicht ganz. Die Erleichterung nach dem Ende der Quarantäne könnte den direkten menschlichen Austausch wieder aufwerten, gerade für diejenigen, die tief im Innern allein durchs Leben gehen oder fast nur online unterwegs sind. Neue Freundschaften entstehen und alte werden wiederbelebt. Überhaupt wird eine ethische Diskussion wieder in den Vordergrund treten: Was ist für uns Menschen wichtiger? Individualismus und Wohlstand oder Solidarität und Verantwortung?
Die Erfahrung, wie fragil unsere Gesellschaft und Wirtschaft ist, wird die Wichtigkeit, weltweit nachhaltig und rücksichtsvoll miteinander umzugehen, erhöhen. Es ist zu hoffen, dass die Bedeutung und die Budgets von transnationalen Organisationen, wie der WHO oder dem Weltsicherheitsrat der UNO, wieder zunehmen. Auch Europa könnte enger zusammenrücken und Schocks im Euroraum auf mehr Schultern verteilen. Besonders die wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeit ist offenkundiger denn je.
Aktuell sehen Europäer Asiaten in der Innenstadt scheel an. Und umgekehrt sollen Südafrikaner Europäer auf der Straße sogar mit Steinen beworfen haben. Angst grenzt aus und Angst sucht nach Sündenböcken. Allerdings: Die politischen und nationalen Unterschiede zwischen Menschen werden von dem grenzenlosen Vorgehen des Virus zumindest für eine Weile relativiert. Eine Ausgangssperre gilt zum Beispiel gleichermaßen für verfeindete Gruppen in Bürgerkriegsländern. Plötzlich gibt es einen gemeinsamen Feind. Vielleicht sorgt das für mehr Gemeinsamkeit und macht alternative Lösungen möglich. Wenn eine Krise alle gleich betrifft, und Egoismus nicht davor schützt, dann rückt die Herde enger zusammen.
Für Kommunikationsberater und -Trainer wird es dabei möglicherweise noch mehr als bisher zu tun geben. Denn Führung, Austausch und Zusammenarbeit waren noch nie so wichtig wie in Zeiten allgemeiner Verunsicherung.
Praktisch alle Aspekte unseres aktuellen Lebens sind von Corona betroffen. Das heißt aber nicht, dass wir unser Leben prinzipiell ändern werden. Ganz im Gegenteil.